Ukraina – Press

Heraus zum 1. Mai: Wie lauter Pop politische Umstürze beflügelt. Eine kleine Geschichte der Rev

‘Es ist kein revolutionärer Akt, wenn sich Franz Müntefering auf Parteitagen erhebt, um rauh “Die Internationale” anzustimmen. Auch wenn er das Kapital wieder befehdet: Es bleibt rührseliges Brauchtum.
Auf den Straßen Kiews, im vergangenen Spätherbst klang “Die Internationale” frischer. Auf dem Majdan Nesaleschnosti, dem Platz der Unabhängigkeit, wurde das Lied von Arbeitern und Hausfrauen gesungen wie von Akademikern und Geistlichen. Von Punks, deren orange Haare plötzlich allgemeines Lob erfuhren, und von HipHop-Kindern, denen apfelsinenfarbene Tücher aus den tiefen Hosentaschen hingen. Überhaupt fand eine Weltrevolutionshymne in Kiew Eingang in den zeitgemäßen Liederschatz. Neben so widerspenstigen lokalen Rockgewittern wie “Ja ne chotschu!” (Ich will nicht!) von der Gruppe Tartak (Sägemühle). Oder neben “Diki Tanzi” von Ruslana; als “Wild Dances” trug das Stück im Mai 2004 beim Eurovision Song Contest von Istanbul den Sieg davon.

Nun darf die Ukraine am 21. Mai den Grand Prix ausrichten. Dieser Eurowettstreit kommt der Nation beim angestrebten Beitritt zur EU gelegen. Wenn die Sängerin und Tänzerin Ruslana das TV-Ereignis moderiert, soll das auch als Triumph der Popkultur über die Politik verstanden werden. Als die Präsidentenwahl im Herbst den Bonzen Janukowitsch vor dem Volkshelden Juschtschenko auswies, füllten sich die Straßen mit Demonstranten. Ein Fanal setzte Ruslana: Aus Protest gegen den Wahlbetrug trat sie in Hungerstreik. Europa saß am Fernseher und sah Bilder von Hunderttausenden mit Che-Guevara- und Bob-Marley-Flaggen. Anschließend reiste die 30jährige Ruslana Lyschitschko aus Lemberg durch Europa, um für die befreite Heimat und ihre CD zu werben. “In Kiew wurden die europäischen Werte verteidigt”, verkündete sie. “Nur die Musik hat uns vor Gewalt bewahrt.”

Seit man Revolutionen feiert oder anstrebt, wird der musikalischen Begleitung Großes zugetraut. Die “Marseillaise” ermunterte die Truppen im französischen Revolutionskrieg. 1830 stürmten Operngäste der “Stummen von Portici” von Daniel Auber, aufgewühlt vom “Freiheitsduett” im 2. Akt, den Brüssler Justizpalast, um Belgien von Holland zu befreien, mit Erfolg. Um 1860 bildeten sich erste Proletarierchöre. Eifrig wurden sie von Volkspoeten mit Gesängen ausgestattet wie “Die Fahne soll stehen, wenn der Mann auch fällt”.

Der Wiener Bürgersohn Hanns Eisler unterwarf jede Form ihrer politischen Funktion. “Als ich darauf kam, daß sich die Politik so für die Musik interessiert, habe ich mich als Musiker für die Politik interessiert”, erklärte Eisler. Er trat mit Ernst Busch in Kneipen auf, um die proletarische Revolution herbeizumusizieren. “Nicht wehleidig, knapp, scharf”, sollten die Stücke sein und sich zum Gassenhauer eignen.

Denn es waren seltener die leisen Liedermacher, die an Fundamente einer ungeliebten Ordnung rührten. Schon die Spielmannszüge von Paris strotzen vor Blech und Schlagwerk, um das eigene Gefolge mitzureißen und den Gegner einzuschüchtern. 175 Jahre später trat Bob Dylan als Rebell erst ernsthaft in Erscheinung, als er beim Folklorefest von Newport die elektrische Gitarre anschloß. Das erzürnte nicht nur Rechtskonservative. Auch die anwesenden Bürgerrechtler waren vom Radau erschüttert. Rockmusik sollte sich als vollkommener Soundtrack zur Revolution erweisen. Jedenfalls zur kleinen Alltagsrebellion.

Es gab zwei Ströme: Mit der Bürgerrechtsbewegung in Amerika machten sich Erben des Protestfolksängers Woody Guthrie wie Bob Dylan auf, die Jugend aufzustacheln. Währenddessen nahm die Rebellion der Briten ihren Anfang in den Kunsthochschulen. “In die Art School stecken sie dich, wenn sich woanders nichts findet”, verriet der Kunststudent Keith Richards. Schwierige und unruhige Schüler wie John Lennon hängten sich Gitarren um und protestierten. Allerdings mit Distanz: Ein armer Bursche, rief Mick Jagger in “Street Fighting Man”, könne allenfalls in einer Rockband singen. “Warum wir keine Kommunisten sind?” fuhr Paul McCartney einen Journalisten an. “Wir sind die Nummer eins unter den Kapitalisten dieser Welt!” Und so gelang ein Revolutiönchen. Sie fand in den Hitparaden statt, aus denen einlullende Pophits immer wieder vom Krawall vertrieben wurden. Regelmäßig wird die Industrie seitdem von progressiven Musikern enteignet. Punk zehrte wie Techno oder HipHop wesentlich vom Stolz, die Produktionsmittel der Studios und Computer zu besitzen. Manchmal ging es nur um Soundrevolten oder Aufstände gegen die herrschende Mode. “Children of the Revolution” von T-Rex darf man so hören.

Allerdings entwickelten selbst einfältige Songs wie “Wind of Change” der Scorpions ihre Sprengkraft, wenn sie auf Systeme trafen, die sich sozialistisch nannten oder deren Überreste stur verwalteten. In Belgrad trugen die Studenten 1996 aus Protest am Kragen runde Anstecker mit Songtiteln wie “Torture Never Stops” (Frank Zappa), “I Shot the Sheriff (Bob Marley) und “Walk on the Wild Side” (Lou Reed).

Der Sieg der Popsongs in der Ukraine hat sogar die Macht in Moskau aufgeschreckt. Wladimir Putins Chefideologe Wladislaw Surkow bestellte kürzlich Rußlands Musiker in ein Hotel, um bei Problemen Hilfe anzubieten. Dafür mögen sich Idole wie Boris Grebenschikow und Sergej Schnurow bei eventuellen Aufständen neutral verhalten.

Weil Europa so viel Freude hatte an der bunten, maßvollen aber erfolgreichen Revolution in Kiew, hat die Firma “Eastblok” nun in der Berliner Botschaft eine Platte vorgestellt. “Ukraina – Songs of the Orange Revolution”, diese Lieder eignen sich vorzüglich für den Weltmarkt. Der globale HipHop, Allerweltsrock oder MTV-taugliche Tanzmusik werden verziert mit regionalen Mustern. Gern wird auf die Traditionen der Kosaken hingewiesen, die den Bauern schon beim Kampf gegen den Adel halfen. Die Europa- und Grand-Prix-Botschafterin Ruslana läßt zur Beatbox riesenhafte Bergtrompeten blasen, um das Waldvolk der Huzulen in der Popmusik zu ehren. Damit produziert der Osten selbst seine Klischees, und nicht die Industrie des Westens.

Und vor allem: Die Musik hat eine revolutionäre Wirkungsmacht bewiesen, von der progressive Rockstars seit den späten Sechzigern nur träumen dürfen. Wenn die SPD es mit der Kapitalismuskritik ernst meint, muß sie dringend neue Lieder in Auftrag geben.

So wild treiben es die Huzulen (DIE ZEIT, 31.03.2005)

Der Soundtrack zur Revolution in Orange: Ukrainische Bands auf dem Weg nach Westen

Als Wiktor Juschtschenko sich unlängst im Bundestag für die deutsche Unterstützung der Revolution in Orange bedankte und um ein offenes Ohr für die Jugend der Ukraine bat, mögen ausgewiesene Popspezialisten wie Sigmar Gabriel an Ruslana gedacht haben, 2004 Gewinnerin des Schlager-Grand-Prix. Ansonsten hat die ukrainische Popularmusik bislang wenig Breitenwirkung entfalten können. Bands wie Haydamaky, Okean Elsi oder Tartak (»Sägemühle«) kennen hierzulande so wenige, dass ein Sampler mit den Songs Of The Orange Revolution eine echte Pioniertat darstellt: praktizierte Osterweiterung und Werbung für ein frisch demokratisiertes Land.

Wie klingt ukrainischer Pop? Zunächst einmal nicht viel anders als handelsübliche Westware. Die Globalisierung scheint so weit fortgeschritten zu sein, dass Gruppen aus Kiew oder Lemberg mittlerweile jamaikanischen Ska, britischen Rock, nordamerikanischen HipHop spielen, das Know-how haben sie sich bei MTV abgeschaut. Besonders beeindruckend die Fortschritte auf dem Gebiet der Dancefloor-Kultur: Jeder Beat, jede Choreografie kennt ein innerukrainisches Pendant. Die Differenz liegt in jener Extraportion Enthusiasmus, die sich immer dann einstellt, wenn Umwälzungen stattgefunden haben, die bekannten Melancholien des Business aber noch unentwickelt sind. Man könnte sagen: Faszinierend am ukrainischen Pop ist sein Mangel an Dekadenz. Obwohl sämtliche Zutaten bekannt sind, passiert alles wie zum ersten Mal.

Dazu gehört auch, dass die ausgewiesene Modernität eine lokalpatriotische Kehrseite hat. Über Rosawa, ein ätherisches Wesen, das in seiner Nebenkarriere Kinderlieder singt, heißt es im Begleittext, ihr seien »Authentizität und ihre slawischen Wurzeln wichtig«. Andere berufen sich auf das Reiterleben der Kosaken, die, zusammen mit den einheimischen Bauern, im 18. Jahrhundert der Feudalherrschaft trotzten, und mischen ihre Melodien mit alten Volksweisen. Ukrainischer Pop auf seinem Weg in den Westen – ein Mix aus globalen und lokalen Elementen. All die Fantasmen und Folklorismen, die einmal westlicherseits auf den wilden Osten projiziert wurden, von Tanz-Novelty-Hits der Gruppe Dschingis Khan bis hin zu Heinz Konsaliks Taiga-Beschwörungen, kehren in zeitgemäß aufbereiteter Form wieder. Der Unterschied: Sie sind von der Färbung her ein Ostprodukt. Der Osten hat gewissermaßen die Klischeeproduktion über sich selbst in die eigene Hand genommen.

Meisterin in dieser Disziplin ist zweifellos Ruslana, als Siegerin des European Song Contest zugleich Gastgeberin des diesjährigen Wettbewerbs in Kiew. Ruslana sieht sich nicht nur als Botschafterin ihres Landes, sie will auch auf die Kultur der Huzulen aufmerksam machen, eines Volks aus den Waldkarpaten. Im Video zu Dance With The Wolves, das die Liedersammlung der Revolution in Orange als Bonus Track beschließt, sieht man sie im knappen Ethno-Fellkostüm über die Bühne fegen. In welchem Outfit sie die Show im Mai moderieren wird, steht noch nicht fest, aber sie und ihre Designer werden sich garantiert etwas einfallen lassen. Die fortgeschrittenste Lektion, die Popmusik aus der Ukraine für westliche Ohren bereithält: Am Servicegedanken führt hüben wie drüben kein Weg vorbei.

Revolutionärer Mainstream. Ukraina – Songs of the orange revolution (abvmob.de, 07.04.2005)

Der Soundtrack zur Revolution in Orange: Ukrainische Bands auf dem Weg nach Westen

Als Wiktor Juschtschenko sich unlängst im Bundestag für die deutsche Unterstützung der Revolution in Orange bedankte und um ein offenes Ohr für die Jugend der Ukraine bat, mögen ausgewiesene Popspezialisten wie Sigmar Gabriel an Ruslana gedacht haben, 2004 Gewinnerin des Schlager-Grand-Prix. Ansonsten hat die ukrainische Popularmusik bislang wenig Breitenwirkung entfalten können. Bands wie Haydamaky, Okean Elsi oder Tartak (»Sägemühle«) kennen hierzulande so wenige, dass ein Sampler mit den Songs Of The Orange Revolution eine echte Pioniertat darstellt: praktizierte Osterweiterung und Werbung für ein frisch demokratisiertes Land.

Wie klingt ukrainischer Pop? Zunächst einmal nicht viel anders als handelsübliche Westware. Die Globalisierung scheint so weit fortgeschritten zu sein, dass Gruppen aus Kiew oder Lemberg mittlerweile jamaikanischen Ska, britischen Rock, nordamerikanischen HipHop spielen, das Know-how haben sie sich bei MTV abgeschaut. Besonders beeindruckend die Fortschritte auf dem Gebiet der Dancefloor-Kultur: Jeder Beat, jede Choreografie kennt ein innerukrainisches Pendant. Die Differenz liegt in jener Extraportion Enthusiasmus, die sich immer dann einstellt, wenn Umwälzungen stattgefunden haben, die bekannten Melancholien des Business aber noch unentwickelt sind. Man könnte sagen: Faszinierend am ukrainischen Pop ist sein Mangel an Dekadenz. Obwohl sämtliche Zutaten bekannt sind, passiert alles wie zum ersten Mal.

Dazu gehört auch, dass die ausgewiesene Modernität eine lokalpatriotische Kehrseite hat. Über Rosawa, ein ätherisches Wesen, das in seiner Nebenkarriere Kinderlieder singt, heißt es im Begleittext, ihr seien »Authentizität und ihre slawischen Wurzeln wichtig«. Andere berufen sich auf das Reiterleben der Kosaken, die, zusammen mit den einheimischen Bauern, im 18. Jahrhundert der Feudalherrschaft trotzten, und mischen ihre Melodien mit alten Volksweisen. Ukrainischer Pop auf seinem Weg in den Westen – ein Mix aus globalen und lokalen Elementen. All die Fantasmen und Folklorismen, die einmal westlicherseits auf den wilden Osten projiziert wurden, von Tanz-Novelty-Hits der Gruppe Dschingis Khan bis hin zu Heinz Konsaliks Taiga-Beschwörungen, kehren in zeitgemäß aufbereiteter Form wieder. Der Unterschied: Sie sind von der Färbung her ein Ostprodukt. Der Osten hat gewissermaßen die Klischeeproduktion über sich selbst in die eigene Hand genommen.

Meisterin in dieser Disziplin ist zweifellos Ruslana, als Siegerin des European Song Contest zugleich Gastgeberin des diesjährigen Wettbewerbs in Kiew. Ruslana sieht sich nicht nur als Botschafterin ihres Landes, sie will auch auf die Kultur der Huzulen aufmerksam machen, eines Volks aus den Waldkarpaten. Im Video zu Dance With The Wolves, das die Liedersammlung der Revolution in Orange als Bonus Track beschließt, sieht man sie im knappen Ethno-Fellkostüm über die Bühne fegen. In welchem Outfit sie die Show im Mai moderieren wird, steht noch nicht fest, aber sie und ihre Designer werden sich garantiert etwas einfallen lassen. Die fortgeschrittenste Lektion, die Popmusik aus der Ukraine für westliche Ohren bereithält: Am Servicegedanken führt hüben wie drüben kein Weg vorbei.

Hören Sie Orange! (taz, 11.03.2005)

Ein neues Label will mehr Musik aus Osteuropa in den Westen schleusen. Den Anfang macht eine Compilation mit Revolutionspop aus der Ukraine
Die ukrainische Botschaft in Berlin war mit blaugelben Flaggen geschmückt, und im Foyer gab es eine Fotoausstellung mit Bildern der “orangenen Revolution”, auf denen auffällig oft die Pop-Sängerin Ruslana zu sehen war. Beinahe mit einem Staatsakt lud die Plattenfirma “Eastblok” kürzlich zu einer Pressekonferenz, um ihre CD-Compilation mit Pop aus der Ukraine vorzustellen: dem “Soundtrack der orangenen Revolution”, wie die Macher werbewirksam vermerken.

“Hören Sie Orange!”, wie ein Berliner Radiosender einst für sein Programm warb, könnte auch der Slogan für diesen Sampler lauten, dessen Booklet ganz in der Farbe der Opposition in Kiew leuchtet. Die CD kommt vielleicht etwas spät, um noch von der medialen Sogkraft des gewaltfreien Umsturzes in der Ukraine zu profitieren. Andererseits passt sie zur gegenwärtigen Visa-Debatte und dem Staatsbesuch Juschtschenkos in dieser Woche wie die Klitschko-Faust aufs Auge.

Zu der Pressekonferenz geladen war auch der prominenteste Popstar des Ukraine: die Sängerin Ruslana, die im letzten Jahr beim Grand Prix siegte und bei den Demonstrationen im Dezember als Bannerträgerin der Demokratiebewegung auftrat. Ihren Gewinn beim Eurovisions-Wettbewerb habe sie schon damals als Omen für die Wende in ihrem Land angesehen, antwortet Ruslana brav auf Journalistenfragen. Damals hätte der Westen zum ersten Mal gemerkt, dass die Ukraine mehr zu bieten hätte als das Erbe der alten Sowjetunion, das durch die Proteste weggefegt worden wäre.

Zu Beginn der Proteste trat Ruslana öffentlich in Hungerstreik, später gab sie Konzerte auf dem Unabhängigkeitsplatz. Natürlich ist sie jetzt prominent auf dem “Ukraina”-Sampler vertreten, der auch die übrige Pop-Szene ihres Landes vorstellt. Neben kommerziellen Rock-Acts wie Okean Elsi oder der Crossover-Band TNMK ist dabei vor allem der Underground hörenswert: der bläsergestützte Ska-Punk der Gruppe WW, der melodiöse Folk-Rock der Mad Heads oder der Akkordeon-Reggae “Kalina” von Mandri.

Aber gibt es wirklich einen eigenen, ukrainischen Pop-Sound, will der Journalist von Ruslana wissen. “Klar gibt es den!”, kommt ihr der Übersetzer zuvor, und Ruslana führt ihren Eurovisions-Hit “Wild Dance” mit seinen folkoristischen Trommelrhythmen, westlichen Dance-Beats und monumentalen Bergtrompeten als Musterbeispiel für die ukrainische Mischung an. Ob in Ungarn oder Moldawien, in ganz Osteuropa wurde Ruslana nach ihrem Grand Prix-Erfolg gefeiert. Nun will sie ihren Radius auch auf den Westen ausweiten. Demnächst erscheint ihr erstes Album in Deutschland, am Samstag gibt sie in Berlin ihr erstes Konzert.

Mit dem “Ukraina”-Sampler präsentiert sich auch das Plattenlabel “Eastblok” der Öffentlichkeit. Dahinter stehen der Musikmanager Alex Kasparov und sein Kompagnon Armin Siebert: Beide leiteten bis vor kurzem die Osteuropa-Dependance des Branchenriesen EMI, bevor sie sich unabhängig machten. In einem unscheinbaren Ladenraum in Kreuzberg haben sie sich jetzt ihr Büro eingerichtet. Zu lange waren sie damit beschäftigt, westliche Popstars wie Robbie Williams in den Osten zu importieren, der umgekehrte Weg war in der Konzern-Logik kaum vorgesehen. Nun wollen die beiden russische Punk-Bands wie Markscheider Kunst, Leningrad oder die Ethno-Elektroniker vom Amina Sound System aus Ungarn einem größeren Publikum im Westen bekannt machen.

Einerseits profitieren sie davon, dass Wladimir Kaminer und Yury Gurzhy ihnen mit ihren “Russendisco”-Compilations schon das Feld bereitet haben. “Sie haben eine Tür geöffnet”, lobt Kasparov die Kollegen, denen er mit den Lizenzen behilflich war. Andererseits wollen sie mit ihrem Label den Blickwinkel erweitern und Bands aus ganz Osteuropa vorstellen. Als Nächstes ist eine “Balkan Beats”-Compilation geplant, die mit den Machern der gleichnamigen Partyreihe in Berlin entsteht, daneben stehen sie in Verhandlungen mit dem Management der russischen Punkband Leningrad. “Es gibt noch viel zu entdecken”, zeigt sich Armin Siebert überzeugt.

Fragt sich nur, warum Osteuropas blühende Musiklandschaften erst jetzt allmählich auch im Westen Gehör finden? “Es gibt in diesem Bereich einfach zu wenig Profis, bei denen sich die Musikbegeisterung mit Know-how im westlichen Musikgeschäft paart”, sagt Kasparov und beschreibt damit genau seine Qualifikation. “Es gibt viele russische Bands, die im Westen auf Tournee gehen und sogar im Madison Square Garden in New York auftreten”, weiß Kasparov. “Aber zu diesen Konzerten kommen bislang nur Russen.” Bislang.

Autor: Daniel Bax

Ukraina – Songs Of The Orange Revolution (Sound & Image, 28.02.2005)

Es ist wieder Ruhe eingekehrt in Kiew. Man hat erreicht was man wollte, Schlafsäcke, Zelte und Thermoskannen sind wieder eingepackt, die orangene Revolution ist geglückt. Jetzt muß Mr. Juschtschenko allerdings auch ein bißchen Gas geben mit dem was er nun anpacken will, damit sich seine Landsleute nicht noch mal so verkackeiert vorkommen, wie bei seinem Vorgänger. Am besten, er legt sich eine kleine silberne Scheibe unters Kopfkissen, besser noch, er schiebt sie allmorgentlich in den CD-Spieler seiner Dienstkarosse und erinnert sich daran, was auf dem größten und längsten Open-Air-Konzert, das es jemals in der Ukraine gab, abging. Der Soundtrack dazu kommt nämlich ulkigerweise aus Berlin, dem westlichen Außenposten der ehemaligen CCCP.
Elf Bands bzw. Interpreten haben sich zusammengefunden, um noch mal an das zu erinnern, wofür so viele geschnattert, gebibbert und gebrüllt haben. “Songs of the Orange Revolution” ist eine Wortmeldung all derer, die musikalisch ihren Beitrag zum Gelingen dieser Aktion geleistet haben.

Und so vielfältig wie sich die Ukraine darstellt, sind auch die Stilrichtungen, die auf diesem Album vertreten sind. Song-Contest Siegerin Ruslana ist da wohl die prominenteste, wenn auch nicht unbedingt die anspruchsvollste. Mit ihrem hibbeligen Plastikdiscostyle ist sie gleich zweimal am Start: Diki Tanzi kennt man ja jetzt zur Genüge und das Bonus-Video, na ja, andere Beats, der selbe Dreh.

Alle anderen Teilnehmer sind für uns bislang NoNames, in der Ukraine zum Teil aber schon Kult. Auch hier hängt die intellektuelle Meßlatte nicht sonderlich hoch, aber massiver Russendisko-Sound mit rustikalen Polka- und Reggae-Anleihen bringen die Stimmung dennoch gut vorwärts. Ebenso die harten Rockerbeats, die im Osten scheinbar immer noch weggehen wie warmes Kastenbrot. Und auch eine pomadige Schmalzlocke mischt sich unter die orangenen Revolutionäre.

Insgesamt also eine durchaus hörbare und abwechslungsreiche Scheibe mit historischem Wert. Unsere Brüder und Schwestern aus der ehemaligen DDR haben so etwas 1989 jedenfalls nicht hinbekommen.