Eastblokmusic

Label-Portrait bei Folker!
LABELPORTRÄT
NR. 38/39
Artikelauszug

Eastblok Music und Asphalt Tango Records


Armin Siebert und Alexander Kasparov

Wenn es um Musik aus Osteuropa geht, wird Berlin seiner geografischen Zuständigkeit allmählich gerecht. Nachdem sich Piranha 1999 erstmals Rumänien, später auch Serbien, Kroatien und Albanien zuwandte, wurde im Jahr 2002 der Kulturraum Ost von Asphalt Tango Records erweitert. Polen, Russland, Ungarn und Österreich kamen hinzu. Und nur zwei Jahre später trat mit Eastblok Music ein drittes Berliner Label auf den Plan, das dem Westen den Rücken zukehrt, um nach Osten schauen zu können. Nun wurden auch noch die Ukraine und Italien eingemeindet. Mithin wird von Berlin aus – zumindest musikalisch – ein Gebiet regiert, das nicht nur in etwa die alte Größe von Österreich-Ungarn wieder herstellt, sondern noch darüber hinausgeht. Wenn das der Kaiser wüsste.

Von Luigi Lauer

go! www.asphalt-tango.de

go! www.eastblokmusic.com

Wenn der Name Programm sein soll, dann ist mit Eastblok Music schon einiges gesagt. Fünfzehn Jahre nach dem Ende des Ostblocks war der Anfang für Eastblok, und der klang noch recht traditionell. Eine Aufnahme des Moskauer Kammerchors Peresvet mit russischen Tischliedern wurde Katalognummer 001, und zwei Zusammenstellungen namens BalkanBeats fuhren noch das einschlägig bekannte Gebläse von Bands wie Fanfare Ciocarlia auf – wenn auch äußerst erfolgreich. Doch seit dem Beginn im Herbst 2004 hat sich einiges getan, mit Gruppen wie Leningrad aus Russland, Haydamaky aus der Ukraine, Little Cow aus Ungarn oder Rromatek aus Rumänien hat Eastblok eine deutlich progressivere Richtung eingeschlagen. Dabei waren die beiden Firmengründer Armin Siebert aus Leipzig und Alexander Kasparov aus Moskau vorher mit ganz anderer Musik beschäftigt. Sie saßen, sagt Siebert, in verantwortlichen Positionen des Plattenriesen EMI und koordinierten die Arbeit der osteuropäischen Büros, „deren Aufgabe es eher war, westliche Musik in den Osten zu bringen. EMI hatte in den einzelnen Ostländern Dependancen, und die haben wir mit Robbie Williams, Kylie Minogue und dergleichen beliefert“. Armin Siebert und seinem Kollegen gefiel die Musik aus dem Osten wesentlich besser als Robbie, Kylie und Co., und da es offenkundig ein Interesse dafür gab, schmissen sie kurzerhand ihre Jobs und machten sich selbstständig. Die Musik landete damals quasi automatisch auf ihren Schreibtischen, denn viele kleine Plattenfirmen aus dem Osten erhofften sich, ihrerseits mit EMI ins Geschäft zu kommen. Die aber war nur mäßig interessiert, und so nahm Armin Siebert „alles mit, was an schöner Musik aus dem Osten kam, und davon gab’s reichlich.“

Henry Ernst und Helmut Neumann

Den alten Tagen bei EMI trauert bei Eastblok Music niemand hinterher. Den dicken Fisch hat man zwar bislang noch nicht geangelt, aber der Laden läuft. Der Sprung mit heißer Musik ins kalte Wasser war gewagt, doch es funktioniert. Und auf jeden Fall veröffentlichen die beiden jetzt Musik, hinter der sie auch stehen. Gut ein Dutzend Alben sind es inzwischen, und Musik wird bei Eastblok nicht in erster Linie als Produkt betrachtet: „Wenn eine Musikfirma an die Börse geht und der neue EMI-Chef England ein ehemaliger Flughafen-Dispatcher ist und die EMI-Chefin Deutschland aus der Modebranche kommt – da kann sich jeder selbst sein Bild drauf machen. Musik ist nun mal kein Kühlschrank und hat nichts an der Börse verloren.“

Man muss dem Baby
keinen Namen geben.
Hauptsache, es rockt!

Armin Siebert, Eastblok Music

Übersetzen wir also EMI heute lieber mit „Eastblok Music International“. Was Armin Siebert besonders freut, ist, dass die Anerkennung von Bands wie Haydamaky im Ausland auch zu mehr Interesse und Respekt in der Heimat führt: „Da gibt’s zum Glück ein Feedback, dass es auch zu Hause mehr geschätzt wird, dass der König im eigenen Land dann doch langsam wieder ein bisschen auf den Thron gesetzt wird. Das finde ich sehr schön. Und die entdecken sich neu, ihre Kultur, ihre Sprache, und das ist für die eine unheimliche Bestätigung, wenn wir als Vertreter des großen, reichen Westens sagen, eure Mucke ist so klasse, dass wir die hier veröffentlichen und uns in Konkurrenz stellen zu westlichen Produktionen, ihr könnt da mithalten. Das gibt natürlich wieder ein gutes Selbstbewusstsein, um sich zu Hause noch mehr ihrer Kultur zu stellen, sich dazu zu bekennen und noch schönere Sachen zu produzieren für uns.“ Und ob diese schönen Sachen nun unter „exotisch“, „Balkan“ oder „Weltmusik“ geführt werden, ist Siebert schlicht und ergreifend schnuppe: „Man muss dem Baby keinen Namen geben, Hauptsache, es rockt!“

Tor Zum Osten (Concerto Feb/Mär 09)

Wer in Wien lebt, glaubt ja vielleicht gar nicht, dass sich noch eine andere Stadt ebenfalls als Tor zum Osten empfinden könnte. Berlin tut das aber und sicherlich nicht ganz zu Unrecht. Da ist es vielleicht gar kein Zufall, dass sich die Räumlichkeiten des Labels Eastblok in der Berliner Torstraße befinden. Eastblok wurde 2004 von eigentlich schon alten Hasen im Geschäft gegründet. Von Alexander Kasparov, einem gebürtigen Moskauer, der schon in Warschau und London gearbeitet hatte und Amin Siebert, auch Übersetzer aus dem Russischen, Radiomoderator und seit 1990 DJ in diversen Clubs. Mit ausschlaggebend war die eher frustrierende Erfahrung, in der Osteuropaabteilung eines großen Musikkonzerns eher von West nach Ost als umgekehrt transportiert zu haben. Daran wollten sie etwas ändern, und das machen sie nun mit ihrem eigenen Label sowie mit der Expertise bei der Organisation von Konzerten und der Vermittlung von osteuropäischen Künstlern für Auftritte. Darüber hinaus halten sie Kontakte zu Labels, Künstler-Managements und Medien in Osteuropa. Die erste Veröffentlichung des Labels war dann stilgerecht eine Sammlung russischer Trinklieder eines der populärsten Chorensembles Russlands: Peresvet. Es folgte der Soundtrack zur orangenen Revolution, die erste Kompilation ukrainischer Bands, die im Westen erhältlich war. Richtig lustig und erfolgreich wurde es dann aber mit ,,Balkan Beats Vol. I“, der Idee folgend, die Musik bei Robert Sokos schon seit Jahren erfolgreichen Partys komprimiert auch als Tonträger zugänglich zu machen. Danach wurden mit „Cafe Sputnik hochindividuelle elektronische Klänge aus Russland vorgestellt. Härtere Töne schlagen da schon Haydamaky aus der Ukraine an, wobei sich die Stromgitarre interessant mit traditionellen Instrumenten wie der Hirtenflöte verbindet. Ein echter Liebling ist die kleine Kuh. Kistehén, die sich international Little Cow nennt, kennt durch eine Eckfilmserie, die der Sänger der Band László Kollár produziert hat, in Ungarn jedes Kind. Bei ihnen reiht sich Ohrwurm an Ohrwurm, und zu Recht sind alle begeistert. Mit Figli di Madre Ignota wurde zuletzt sogar eine italienische Band ins Programm genommen, „Balkan Beats“ ist nun bei Vo1.3 angelangt und jetzt auch in einer mit 1000 Stück limitierten Vinyl-Sonderedition erhältlich. Und für dieses Jahr ist eine CD von La Minor, einer Band aus St. Petersburg und eine Kompilationen mit Musik aus Polen, die Reggae- und Dub-Elemente enthält, geplant.

leiss

Party im Eastblok (BLITZ! Stadtmagazin, 4/05)

Vanilla Ninja heißen die aktuellen Stars aus Osteuropa. Die Estinnen sind hierzulande bekannt. Dass abseits der Superstars eine lebendige Pop- und Rockmusikszene hinter dem ehemals „Eisernen Vorhang“ existiert, wissen jedoch nur wenige. Einer, der sich in diesem Metier gut auskennt, ist Armin Siebert, Betreiber des Labels Eastblok und als DJ Pixie in Aufklärungsmission unterwegs.
Der 32jährige entdeckte die Liebe zur osteuropäischen Musik 1994, während seines Studiums in Rußland. Sprachkenntnisse und Leidenschaft für die Musik machten ihn zum idealen Mann für eine große Plattenfirma. „Meine Aufgabe war es, im ‚Ostblock‘ westliche Künstler populär zu machen“, erklärt er. Irgendwann war es dem Berliner jedoch zu wenig, Rußland, Polen und die Ukraine nur als Markt zu sehen.

Armins ersten Anlauf, osteuropäische Musik hier publik zu machen, nahm er als DJ. „Ich habe bei den Parties unserer Studienrichtung Slawistik aufgelegt“, relativiert er. Doch schon damals fiel ihm auf, dass sich „Nicht-Fachleute“ von den exotischen Klängen begeistern ließen. Vor vier Jahren begann Armin regelmäßig vor größerem Publikum osteuropäische Musik aufzulegen. Der Hype um die Russendisko ließ das Interesse spürbar wachsen. „Ich kenne Wladimir Kaminer persönlich“, berichtet er, „und ich freue mich für ihn.“ Als Konkurrenz sieht der Berliner die Parties nicht. „Dafür ist das Angebot noch immer viel zu klein. Außerdem spielen wir nicht nur Russisches sondern auch ‚Balkan Beat‘.“

Die Szene in Osteuropa ist vielfältig. „Natürlich gibt es auch Wegwerf-Pop“, erklärt Armin. Die Auswahl an guten Musikern aller Stilrichtungen ist jedoch groß. Wer Platten für zuhause sucht, hat es noch immer schwer, etwas zu finden. Das brachte Armin und seinen Freund Alexander Kasparov auf die Idee, das Label Eastblok zu gründen. Armin schätzt besonders die Verbindung von westlicher Popkultur mit den typischen Landesklängen. „Ich möchte hören, woher die Bands kommen“, erläutert er. Deshalb legt das Label großen Wert darauf, dass die Musiker in ihrer Landessprache singen.

Trotz guter Kontakte, besonders in die russische Szene, steht das Label hierzulande vor den Problemen jeder kleinen Plattenfirma: Ohne großes Werbebudget ist es schwierig, überall präsent zu sein. Aber das Echo sowohl der seriösen Medien, als auch der Hörer und Leser macht Mut. Die aktuelle CD läuft gut, was sicher auch am öffentlichen Interesse bezüglich des Themas liegt: „Ukraina – Songs Of The Orange Revolution“ bringt dem hiesigen Publikum die Helden der friedlichen Revolution in der Ukraine nahe. „Die Bands haben einen wesentlichen Anteil daran, dass sich die Veränderungen gewaltfrei vollzogen haben“, weiß Armin. Doch unabhängig von ihrer politischen Dimension bieten die zwölf vertretenen Bands, darunter Grand-Prix-Gewinnerin Ruslana, gute Musik von Pop und Rock über HipHop und Folk bis hin zu Ska und Reggae.

Als nächstes wollen die Herren von Eastblok osteuropäische Bands hierzulande auf Tour schicken. Das ist gar nicht so einfach. „Nehmen wir zum Beispiel Leningrad“, erklärt Armin mit einem Grinsen. „Die füllen zuhause problemlos riesige Arenen – sie haben einen Status wie bei uns die Ärzte. Erklär so einer Band mal, dass sie hier in einem Klub vor 300 Leuten spielen soll!“ Auch sonst sind die Künstler (wie alle Künstler) nicht immer pflegeleicht. „Ich habe Leningrad live in Nürnberg gesehen“, erzählt Armin. „Den Jungs wurde es zu heiß und dann haben sie die Bühne verlassen. Zurück kamen sie alle komplett nackt …“ Zum Glück leben wir nicht in den USA.

Trotz aller Hindernisse, Armin sieht die Zukunft von Eastblok positiv. „Ich denke, dass zumindest ein Teil der Deutschen die Nase voll hat vom ewig gleichen Formatmüll und nach interessanten musikalischen Alternativen sucht.“ Seine Kritik gilt auch den Plattenfirmen. „Man sollte aufhören, sich auf die Teenies als einzige Zielgruppe zu beschränken und die Hörer wieder als intelligente Konsumenten ernst nehmen.“ Darüber hinaus ist er sich sicher, dass es ein allgemeines Interesse an Osteuropa gibt: „Der Kalte Krieg ist vorbei, die Menschen interessiert, wie man dort denkt, fühlt, lebt. Diese Länder sind zum Teil unsere Nachbarn und wir wissen wenig über sie.“ Auch werden Polen, Rumänien, Bulgarien oder Rußland als Urlaubsländer immer attraktiver. „Es gibt dort noch eine Ursprünglichkeit und Leidenschaft, die im Westen verloren gegangen ist. Auch die mystische Kultur und Folklore sind sehr anziehend.“ Na und das wichtigste Argument soll auch nicht vergessen werden: „In Osteuropa gibt es richtig gute Musik!“

DJ Pixie legt jeden letzten Freitag im Monat im Roten Salon (Katys Garage) auf

Autor: Ullrich Bemmann


City Guide „Berlin – What’s hot?“ (MAX, 06.02.2006)

Nirgends sonst in Deutschland prägen Osteuropäer das kulturelle Leben stärker als in Berlin. Garantiert folklorefrei: die Ostblockwelle.

Bis vor zwei Jahren war Alexander Kasparov Marketing-Chef von EMI-Music für Osteuropa. Er arbeitete in Moskau, Warschau, London und schließlich in Berlin. „Alles war bestens“ – er kündigte trotzdem. Er hatte einfach zu viel gehört: in seiner Heimat Russland, der Ukraine und in Osteuropa. Da produzierte eine quirlige Musikszene massenhaft aufregende Sounds – modern, aber mit einzigartigem lokalen Einschlag, und niemand nahm das zur Kenntnis. In seinem EMI-Kollegen Armin Siebert fand er einen Verbündeten, und sie kamen überein, „alles für Kylie und Robbie in Osteuropa gemacht zu haben“ und es nun andersrum tun zu wollen. Im November 2004 gründeten sie das Label Eastblok Music.

Vier CDs sind mittlerweile auf dem Markt, die neueste Compilation heißt „Café Sputnik“, und auf ihr versammelt sind elektronische Perlen aus Russland. Zum Beispiel vom Duo „Messer Chups“, das einen grandiosen Gig im „Eschloraque“ hinlegte. Am besten lief bisher die CD „Balkanbeats“, was auch damit zu tun hat, dass sie umherziehenden Partys gleichen Namens unter anderem im „Mudd Club“ wildeste Tanzgelage sind.

Selbstverständlich ist Alexander Kasparov best friend mit dem wohl berühmtesten Russen Berlins, Wladimir Kaminer und seiner „Tanzwirtschaft Kaffee Burger“. Seine „Russendisko“ läuft immer noch so fulminant, dass sie alsbald ein eigener Klub an der Jannowitzbrücke (Ex-„Safe T“) werden wird. Kasparov wirft übrigens mal einen anderen Blick auf den ewigen Vorwurf, da gingen nur Touris hin: „Für viele Russen ist die Musik zu alternativ.“ Für die Russin Anna Pavlova gilt das nicht. Sie veranstaltet öfter Happenings wie die „Russian Trash Big Bang Partys“ zum Beispiel im „Acud“. Wer mehr russische Momente sucht, geht auf: www.007-berlin.de

Rock aus dem Ostblock (Eurasisches Magazin, 29.01.2005)

Der sozialistische Ostblock ist längst Geschichte. Bis heute aber ist zeitgenössische Musik aus Osteuropa hierzulande nur einem Kreis von Eingeweihten bekannt. Musikalisch orientieren sich die meisten Menschen streng gen Westen. Die neue Berliner Plattenfirma Eastblok Music will hier gegensteuern.

Halten Sie mal einen Moment inne: Welche Musiker aus dem Osten Europas kennen Sie? Nein, nicht Sergej Rachmaninow, Béla Bartók oder Friedrich Smetana. Gemeint sind nicht die Klassiker, die bis heute prachtvolle Konzertsäle füllen, gemeint sind die Sterne und Sternchen, die aktuell in Klubs und Diskotheken die Stimmung anheizen. Für viele Menschen hat die Frage nach osteuropäischen Musikbands den Schwierigkeitsgrad der Millionenfrage vis-à-vis mit Günther Jauch.

Bekannt ist die ukrainische Rockröhre Ruslana Lyzhichko, die letztes Frühjahr den Grand Prix d’Eurovision nach Kiew holte. Oder ebenfalls seit vergangenem Jahr die vier Mädels der estnischen Band Vanilla Ninja. Ein Begriff sind manchem noch die beiden Moskauer Pseudolesben Julia und Lena und ihr Popprojekt Tatu – wenngleich es inzwischen als aufgelöst gilt. Und natürlich fällt einem ein: „Dragostea din tei“. Der zweifache Sommerhit 2004 der moldawischen Boygroup O-Zone und der Bukarester Sängerin Haiducii.

Und weiter? Viel mehr fällt den meisten Menschen nicht ein. Und das anderthalb Jahrzehnte nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Immerhin sind im vergangenen Mai acht Staaten des früheren Ostblocks der Europäischen Union beigetreten. Die politische Einigung Europas scheint erheblich leichter zu bewerkstelligen als die kulturelle. Osteuropäische Musik pulsiert noch immer äußerst spärlich durch westliche Lautsprecher – wenn überhaupt, dann in englischer Sprache zum Exportprodukt entstellt.

Eastblok Music, eine neue Berliner Plattenfirma, möchte diese Monokultur durchbrechen und ausschließlich osteuropäische Musik vermarkten. In der Originalsprache. Ein Ausbruch unternehmerischen Übermuts, angesichts des Ausnahmeerfolgs von „Dragostea din tei“? Armin Siebert, einer der Macher, winkt ab. Die ungeahnte Begeisterung für den moldawischen Partyschlager mache natürlich Mut, aber eigentlich wollten er und sein russischer Freund Alexander Kasparov keine eindeutig kommerzielle Musik produzieren. Alternativer Rock und Pop, teils mit folkloristischen Anklängen liege ihnen mehr am Herzen. „Vor allem wollen wir zeigen, daß im Osten mindestens genauso gute Musik gemacht wird wie hier.“

Die großen Musikkonzerne haben immer stärker mit der Konkurrenz legaler und illegaler Tauschbörsen im Internet zu kämpfen. Neue Alben stellt man heute nicht mehr sorgfältig aufgereiht ins CD-Schränkchen, sondern lädt sie sich direkt auf Rechner oder MP3-Spieler. Die Zeiten für eine konventionelle Plattenfirma könnten wahrlich rosiger sein, das weiß auch Siebert. „Ohne eine große Portion Idealismus und die Bereitschaft, den finanziellen Profit erstmal hintenanzustellen, geht es nicht.“ Mit bemerkenswerter Energie fügt er hinzu: „Wir sehen das ganze auch als Kulturauftrag. Es ist überfällig, daß osteuropäische Musik auch im Westen zu hören ist und nicht immer nur umgekehrt.“ Zwar sei der Eiserne Vorhang längst nur noch ein düsterer Begriff der Historie, aus den Köpfen der Menschen sei er aber nur schwer zu vertreiben.

Einheimische Gruppen, die auch in der jeweiligen Landessprache singen, gibt es in Rußland oder Rumänien deutlich mehr als hierzulande. „Was ich persönlich sehr erfreulich finde,“ sagt Siebert. Musiker sollten versuchen, ihre eigenen Wurzeln zu bewahren und weiterzuentwickeln. „Besonders spannend ist doch ein Mix aus traditionellen und zeitgenössischen Elementen – keine billigen Plagiate westlicher Musik. Und wenn ich die Wahl habe zwischen Oasis und einer Kopie aus dem Baltikum, dann ziehe ich das Original vor.“ Daß Musik in osteuropäischen Sprachen im Westen keinen Erfolg haben könnte, sei nicht zwangsläufig richtig. Der Erfolg von Wladimir Kaminers und Yuri Gurzhys Russendisko widerlege dies doch. „Der Großteil ihres Publikums versteht kein Wort Russisch. Aber irgend etwas an der Musik fasziniert die Leute, weil eben schon sie allein einen Teil der osteuropäischen Mentalität transportiert.“ Und verstehe jeder, der zu Musik aus den USA, Spanien oder Italien tanzt, auch die jeweilige Sprache?

Siebert (31) ist gelernter Diplomübersetzer für Englisch und Russisch. Bis 2004 arbeitete er für das Osteuropabüro von EMI, dem drittgrößten Musikkonzern der Welt. Hier lernte er vor knapp fünf Jahren seinen heutigen Kollegen Kasparov (43) kennen. Ihre Aufgabe war es damals, westliche Musik in Osteuropa zu vermarkten. Doch mit den Jahren reifte in ihnen die Überzeugung, die eigentliche Herausforderung sei es, den Spieß umzudrehen und Bands aus dem Osten im Westen populärer zu machen. Im vergangenen November gründeten sie schließlich Eastblok Music.

Ihr Büro im Berliner Stadtteil Kreuzberg soll zur Heimstätte osteuropäischer Musik „in Deutschland und perspektivisch in ganz Westeuropa“ werden, heißt es auf der Netzseite www.eastblokmusic.com. Am 31. Januar soll das Debütalbum auf den Markt kommen: russische Volks- und Trinklieder, gesungen von Peresvet, dem Kammerchor des russischen Patriarchen, Alexej II. Weithin bekannte Melodien wie „ Die Ballade von Stenka Rasin“ oder „Der schwarze Rabe“ werden allerdings eher die Ausnahme bleiben in unseren Veröffentlichungen, erklärt Siebert.

In Zukunft soll es rockiger werden. Geplant ist ein Querschnitt durch die ukrainische Musikszene mit Bands der „Orangenen Revolution“. Mit ihren Auftritten hatten sie die bei klirrender Kälte ausharrenden Demonstranten in Kiew bei Laune gehalten. Außerdem haben sich die beiden Berliner vorgenommen, eine der in Rußland derzeit bekanntesten Gruppen in die deutschen Plattenläden zu bringen: die russische Ska-Band Leningrad. Sie möchten ein Album mit den in Deutschland völlig unbekannten Hits zusammenstellen, Siebert nennt es eine Einführung in die Musik des skandalumwitterten Sängers Sergei Schnurow. In dem Begleitheftchen zur CD werden die Texte von „Schnur“ ins Deutsche übersetzt. „Zumindest die, die der deutsche Jugendschutz zuläßt,“ schränkt Siebert grinsend ein. Die 3,2 Millionen Menschen in Deutschland, die Russisch als Muttersprache sprechen, werden Eastblok Music schnell zu schätzen wissen. Und andere Fans kommen nach, bestimmt.

Autor: Hartmut Wagner

Das hat bisher noch niemand gemacht (Pester Lloyd, 09.05.07)

Das hat bisher noch niemand gemacht
Berliner Verlag produziert ´Ostmusik` im Westen

„Der Musikmarkt hat sich in den letzten Jahren auf Grund der Globalisierung stark verändert“, sagt Alexander Kasparov von EASTBLOK MUSIC. Da sind einige Nischen zu besetzen. Und so hat er mit seinem Berliner Plattenlabel eine Marktlücke entdeckt und produziert und vertreibt seit Ende 2004 im Westen erfolgreich Musik aus Osteuropa. Wie das geht, weiß der aus Russland stammende ehemalige Vice President Marketing bei EMI Eastern Europe mit seinen langjährigen Erfahrungen im Musikgeschäft bestens. Früher war es seine Aufgabe, die Musik der westlichen Pop- und Rockgrößen in Osteuropa zu vermarkten. Nun macht er es umgekehrt. „Natürlich war es ein Risiko, das hat bisher noch niemand gemacht, aber wir haben es geschafft“, sagt er voller Zuversicht.

Mittlerweile ist geplant, den Vertrieb auch nach Übersee zu erweitern. Sowohl in den Plattenregalen der Megastores als auch in den Angebotslisten großer Internetanbieter sind ihre Alben zu finden. In Kürze kann auch über das neue, in Vorbereitung befindliche eigene Portal weltweit bestellt werden und ist das Downloaden von Songs möglich.

In einem völlig unscheinbaren Gebäude in der Torstraße in Berlin-Mitte, im ersten Stockwerk, befindet sich der Zweimannbetrieb. Zusammen mit seinem Geschäftspartner Arnim Siebert, früher im Trademarketing, ebenfalls bei EMI, wird die gesamte Verlagsarbeit bewältigt. Von hier aus werden auch Konzerte mit Bands aus dem „Osten“ organisiert. Pro Jahr erscheinen vier bis sechs Alben bei EASTBLOK MUSIC. Vertriebsrechte haben sie bislang für fast alle europäischen Länder.

Kürzlich ist von der bekannten Rockband Kistehén, im Ausland als Little Cow vermarktet, das erste ungarische Album bei EASTBLOK MUSIC erschienen und wurde gleich eine Erfolgsstory: Die Konzerte, quer durch Deutschland und Nachbarländer, waren gut besucht. Es gab gute Kritiken in den Medien und auch im Radio waren die Songs der Ungarn zu hören. Schließlich gab es noch Unterstützung durch das Collegium Hungaricum Berlin. Genauso gut lief es mit der ukrainischen Band Haydamaky (Karparten-Ska). Für Frühjahr 2008 ist die Herausgabe eines Samplers mit Songs verschiedener ungarischer Rock- und Popbands geplant, ist vorab zu erfahren.

Produziert wird nur Originelles aus Osteuropa, meist in der Heimatsprache gesungen. „Die Zeiten, in denen nur Englisch gesungen wurde, sind vorbei“, sagt Kasparov und fügt hinzu: „Wir produzieren alles, außer Mainstreampop“. Alle Genres moderner Musik von Ska, über Rock, bis Alternativ, meist mit ethnischen Klängen gemischt, stehen auf dem Verlagsprogramm.

Merkmale der Zielgruppe, wie sie mit Hilfe von Analysen ermittelt wurde: Altersmäßig zwischen 18 bis 40 Jahre, darunter viele Studenten, ist sehr offen und an allem Neuen interessiert, insbesondere aus Osteuropa.

Dass die amerikanische Musik nach wie vor an erster Stelle steht und die Bands aus dem Osten nicht gerade die Charts der großen Radiostationen erobern werden, wissen die beiden Musikexperten. Doch verweisen sie darauf, „wie reich die Musik aus dem Osten ist“.

Autor: Volker Voss